Das ‹Evangelium der Natur›

Abstract

Das ‹Evangelium der Natur›. Der griechische Physiologus und die Wurzeln der frühchristlichen Naturdeutung

Die Schrift war von Anfang an überaus weit verbreitet: Ausser der Bibel wurde kein Buch der antiken christlichen Literatur häufiger übersetzt. Die wenigen Arbeiten, die sich mit dem Physiologus beschäftigen, behandeln ihn vor allem als Quelle mittelalterlicher Bestiarien und Enzyklopädien. Der Bezug zur pagan-religiösen wie biblischen Literatur bleibt hingegen meist ausser Betracht. Ziel des Projekts ist es, über eine Analyse der jüdisch-christlichen wie paganen Wurzeln der Natursymbolik des Physiologus sowie seiner Deutungstechnik einen Schlüssel zum Verständnis dieser Symbolik zu erarbeiten. Zugleich soll die theologische Gesamtkonzeption der Schrift vor dem Hintergrund ähnlicher bildhafter Interpretationsverfahren in der zeitgenössischen platonischen Literatur jüdischer und christlicher Provenienz (insb. Philon von Alexandrien, Klemens von Alexandrien) erarbeitet werden. Die frappierende Nähe der Verbindung von Tiersymbolik mit theologischer Spekulation bei Plutarch (ca. 45–120 n.Chr.) in seiner Interpretation der ägyptischen Tierverehrung mit Naturdeutung des Physiologus ist zwar vermerkt, bis heute aber nicht näher untersucht worden. Es soll geprüft werden, ob sich die Deutungsmethode des Physiologus und ihre onto-theologischen Grundlagen in den Kontext platonischer Ontologie und Epistemologie alexandrinischer Prägung einordnen lassen. Die Schrift liesse sich auf diesem Hintergrund als Physio-Logos deuten, der das ‹Evangelium der Natur› entfaltet, indem er Christus als Logos (Joh 1,1) in der Natur (Physis) entdeckt und verkündigt.
Physiologus Bernensis
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